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Ein Gespenst geht um in Neukölln

Die Angst vor Verdrängung betrifft immer mehr Mieter vor allem im Norden des Bezirks

Weit über hundert Menschen waren der Einladung des Quartiersrats Reuterkiez gefolgt und am 12. August zur Auftaktveranstaltung "Bündnis für bezahlbare Mieten Neukölln" in die Quartiershalle Reuterplatz gekommen. Ein Großteil davon MieterInnen aus den unterschiedlichen Quartieren, doch auch Vertreter diverser Parteien waren anwesend.

Bevor man sich in Arbeitsgruppen mit anderen austauschen konnte, schilderten Rainer Wahls vom Stadtteilbüro Friedrichshain und Heike Thomas von der Initiative Fuldaweichsel ihre Erfahrungen. Rainer Wahls habe sich selbst vor etwa zehn Jahren nicht vorstellen können, dass dem Kiez um den Boxhagener Platz ein fast kompletter Austausch der Bevölkerung in relativ kurzer Zeit bevorstehe. Doch genau das sei passiert – und dieses Szenario stehe Neukölln noch bevor. Nicht gerade ein rosiges Zukunftsbild. Doch es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten: So könne man beispielsweise einen Einwohnerantrag an die Bezirksverordnetenversammlung stellen, um Kieze als Milieuschutzgebiete auszuweisen und so zumindest weitere Luxussanierungen zu verhindern.

 

 

Heike Thomas dagegen erzählte von ihrer persönlichen Erfahrung, sich gegen Verdrängung zur Wehr zu setzen. Vor mehr als drei Jahren wurde das Haus, in dem sie als Mieterin lebt, von einer Grundstücksgemeinschaft erworben. Kurze Zeit später erhielten alle MieterInnen eine Modernisierungsankündigung. Nach der Modernisierung sollten die Mieten um fast 60% steigen – für die meisten wäre ihr Zuhause nicht mehr bezahlbar. Die MieterInnen schlossen sich zusammen, sie tauschten sich aus, berieten sich gegenseitig und viele von ihnen haben es bis heute geschafft, ihre Wohnung zu behalten. Solidarische Nachbarschaftshilfe als Erfolgsrezept.

Nach diesen unterschiedlichen Berichten, wie man politisch aber auch persönlich mit dem Problem drohender Verdrängung umgehen könne, teilten sich die Anwesenden in mehrere Arbeitsgruppen auf. Hier gab es die Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen aber auch Ideen zu entwickeln und sich zu vernetzen. Klar wurde an den Tischen der AGs, dass alle Anwesenden von Ängsten geplagt sind: Angst, die nächste Mieterhöhung nicht zahlen zu können, Angst die Wohnung zu verlieren und damit auch das soziale Umfeld. "Einen alten Baum verpflanzt man nicht" – doch vor allem alten Menschen im Quartier droht mit jeder Mieterhöhung der Umzug. Aber wohin? Die Innenstadtbezirke sind nicht bezahlbar, eine Wohnung um die Ecke erst recht nicht – Marzahn als Alternative? Schnell wurde auch klar, dass vielen eine Mieterhöhung ins Haus flattert, allerdings ohne jegliche Gegenleistung: Da liegen die Kabel beispielsweise noch über Putz und das Bad hat den Charme der frühen 70er Jahre. Und viele der älteren Menschen wissen nicht unbedingt, wie sie sich zur Wehr setzen können. Gerade sie sind auf solidarische Hausgemeinschaften angewiesen, auch wenn sie im Gegensatz zu vielen Jüngeren und neu Zugezogenen eine niedrigere Miete zahlen. "Neid ist Gift", so eine Seniorin, der gerade eine neue Mieterhöhung ins Haus geflattert ist und die befürchtet, demnächst nach mehr als 40 Jahren ihre Wohnung zu verlieren. Doch ein junger Mann der Fuldaweichsel-Initiative macht ihr Mut und berichtet von solidarischer Nachbarschaftshilfe, die über die Vernetzung der Mieter eines Hauses entstehen kann. An allen Tischen hört man durch die Bank weg ähnliche Geschichten und Erfahrungen.

In der großen Runde werden dann nicht nur diese Erlebnisse thematisiert sondern auch Ideen und Forderungen an die Politik formuliert. Schnell ist klar, ein Milieuschutz muss her und zwar in Verbindung mit einem Umwandlungsverbot. Auch die Festlegung von Mietobergrenzen wird als weiteres Instrument genannt, um zumindest den Status quo zu erhalten. Längerfristig müsse die Politik den sozialen Wohnungsbau ausbauen und Gewerbenutzungskonzepte erstellen, damit keine weiteren Partymeilen entstehen können. Auch die Möglichkeit des Rückkaufs ehemals kommunaler Wohnung wird erwähnt genauso wie die Registrierung sogenannter Heuschreckenkonzerne auf dem Immobilienmarkt. Wichtig war einigen Anwesenden auch, dass faire Vermieter unbedingt einbezogen werden müssen.

Aufgrund der begrenzten Zeit kam zwar keine Resolution zustande, obwohl der eine oder andere gerne eine solche verabschiedet hätte. Doch die Mehrheit wollte nichts übers Knie brechen.

Wer an der Folgeveranstaltung am 27. August um 19 Uhr im Broschek in der Weichselstraße 6 teilnehmen möchte und Interesse an Informationen über die weitere Entwicklung hat, der kann die Organisatoren über die Mailadresse quartiersrat[at]reuter-quartier[.]de kontaktieren.

Weitere Informationen und eine Zusammenfassung der Auftaktveranstaltung finden Sie unter der neuen Webseite des Bündnisses bezahlbare Mieten Neukölln.

Stefanie Pfau