Suche

Newsletter bestellen für

Top Themen

Sie befinden sich hier: kiez.stimmen - quartiersbeirat / AG Kultur

Das Reuterquartier im Wandel – Kommt nach der Aufwertung die Verdrängung?

Rückblick auf eine Diskussionsveranstaltung der AG Kultur im Juni 2007

Diskussion
Zahlreiche Bürger kamen zu Diskussionsveranstaltung der AG Kultur. Foto: D. Roos

In den letzten anderthalb Jahren hat der Reuterkiez durch den Zuzug von jungen Bevölkerungsgruppen, Kunstschaffenden, kreativen Unternehmen, Galerien, neuen Cafés und Bars sein Gesicht stärker verändert und mehr Presseaufmerksamkeit bekommen als in vielen Jahren zuvor. Parallel zu dieser Entwicklung glauben langjährige Kiezbewohner, ein Ansteigen der Wohnungsmieten und zunehmend Hausverkäufe alteingesessener Eigentümer an internationale Immobilienagenturen zu beobachten. Sind dies Vorzeichen, dass dem Reuterkiez in absehbarer Zeit dasselbe Schicksal droht, wie so manchem Straßenzug in Mitte oder Prenzlauer Berg? Wird eine Aufwertung des Quartiers die Verdrängung einkommensschwacher Bewohnergruppen verursachen („Gentrifizierung“)?

Um dies herauszufinden, hat die Arbeitsgruppe Kultur des Quartiersbeirats Reuterkiez am 18. Juni alle Anwohner und Interessierte zu einem Expertengespräch in die Nikodemuskirche eingeladen. Offenbar traf das Thema den Nerv der Zeit, denn statt der erwarteten 30 Besucher fanden über 80 den Weg ins Café Niko! Der durch den großen Andrang notwendig gewordene Umzug in den großen Kirchensaal brachte zwar einige akustische Probleme mit sich, da die AG im Vorfeld auf eine Beschallungsanlage verzichtet hatte. Dennoch war es aufgrund der Disziplin aller Teilnehmer möglich, den Ausführungen der geladenen Experten Andrej Holm (Stadt und Regionalsoziologie HU Berlin), Katharina Jedermann (Institut für Kunst im Kontext, Universität der Künste UdK) sowie Philipp Oswalt (Berliner Architekt und Publizist) unter der Moderation von Uwe Rada (taz) aufmerksam zu folgen. Als ortskundige Mitdiskutantin vertrat Stefanie Raab (Zwischennutzungsagentur) den Reuterkiez.

Standen in der ersten 60 Minuten vor allem städtebaurechtliche Instrumentarien, das deutsche Mietrecht, die Entwicklung in den 90ern am Prenzlauer Berg, die starke Wohnungsnachfrage im Reuterkiez sowie dessen immer noch ernüchternde Position im Berliner Sozialindex im Vordergrund, so bot die zweite Hälfte des Abends mehr Raum für Beobachtungen, Fragen und Kommentare der Bewohner: Grundsätzlich wurde die aktuelle Entwicklung, das buntere Straßenbild und der Zuzug neuer Bevölkerungsgruppen im Quartier begrüßt. Dass eine ähnliche Entwicklung eintreten könnte wie am Prenzlauer Berg, wurde bezweifelt, da die dortige historische, stadtgeographische und soziokulturelle Ausgangsbasis eine ganze andere war als in Neukölln.

Nichtsdestotrotz wurde festgestellt, dass die beobachteten Hausverkäufe und mancherorts steigenden Mieten erste negative Effekte auf einkommensschwache Gruppen wie Arbeitslose, Senioren, Großfamilien und Menschen mit Migrationshintergrund haben könnten und eventuell schon haben. Der ein oder andere Teilnehmer war der Meinung, die Abwesenheit genannter Gruppen bei der Veranstaltung sei bezeichnend für deren Ausschluss aus der Entwicklung und der Diskussion. Dem entgegen zielten die meisten Wortmeldungen darauf ab, wie die Chancen einer Aufwertung konkret und in einer allen Bewohnergruppen zugute kommenden Weise genutzt werden können.

Die AG Kultur hat aus der Veranstaltung folgendes Fazit gezogen:

  • Auch nach dem Expertengespräch sind die Meinungen geteilt, ob die gegenwärtige Situation als Ausgangspunkt für eine echte Aufwertung des Reuterquartiers als Wohn- und Arbeitsort bezeichnet werden kann. Und ob in deren Folge Verdrängungsprozesse einkommensschwacher Bewohnergruppen stattfinden werden. Dennoch sind die für diese Entwicklung typischen Phänomene wie z. B. Hausverkäufe alteingesessener Eigentümer an internationale Gesellschaften ernst zu nehmen und zu beobachten.
  • Um fundierte Aussagen machen und entsprechend reagieren zu können, müssen belastbare Daten z. B. zu Bevölkerungsentwicklung, Hausverkäufen, Sanierungen, Umwandlungen in Eigentumswohnungen usw. beschafft werden. Daher soll im Quartier ein verbesserter Informationsfluss auf Haus-, Straßen- und Quartiersebene angestrebt werden.
  • Von vielen Mietergruppen wie z. B. Senioren, Studenten-WGs, Migranten und jungen Selbstständigen werden im Fall eines Hausverkaufs, der Sanierung oder Mieterhöhung grundlegende, mieterfreundliche Rechte aufgrund Unkenntnis nicht oder kaum wahrgenommen. Auf bereits existierende Angebote wie die Mieterberatung im Kiez oder die der Mieterschutzvereine soll daher verstärkt hingewiesen werden.
  • Mittelfristig müssen die alteingesessenen Einzeleigentümer davon überzeugt werden, dass sie selbst an der aktuellen Entwicklung zu ihren Gunsten („Rente statt Rendite“), aber auch der ihrer Mieter (angemessene Miete) und des Kiezes (keine Polarisierung) teilhaben können. Auch wenn dies durch den Quartiersbeirat erkannt - und deshalb das langfristige Ziel der durch ihn beauftragten Zwischennutzungsagentur ist - müssen die Anstrengungen aller Betroffenen diesbezüglich verstärkt und weiter ausgebaut werden.
  • In diesem Zusammenhang dürfte für manchen Kreativen und Kulturschaffenden ein wichtiges Ziel sein, einen befristeten und leicht kündbaren Zwischennutzungsvertrag in einen langfristigen, echten Gewerbemietvertrag umzuwandeln. Nur so ist eine Teilhabe an einer positiven Entwicklung der Arbeits- und Einkommensverhältnisse gesichert.

Die Arbeitsgruppe Kultur wird die beschriebenen Ziele weiter verfolgen. Wer an einer Mitarbeit Interesse hat, kann über das BSG-Quartiersmanagementbüro (Hobrechtstraße 59, Tel. 62 73 79 52) oder über die Geschäftsstelle des Quartiersbeirats (beirat@quartiersmanagement.de) Kontakt aufnehmen.

Daniel Roos