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Donnerstag, 18.01.2007

„Wer schlägt, der geht!“

Wenn die Familie zum Tatort wird

Irgendwo in Berlin – in Neukölln genauso wie Zehlendorf – ist ein Polizeiteam unterwegs. Mit Blaulicht und Sirene fahren sie zum Einsatzort „Familie“. Und anders als noch vor knapp sechs Jahren, müssen die Polizisten nicht machtlos wieder wegfahren, wenn ihnen an der Wohnungstür erklärt wird, dass eigentlich alles in bester Ordnung ist. Meist ist es das nämlich nicht – in bester Ordnung… Nach dem Betreten der Wohnung ist Fingerspitzengefühl angesagt, denn diese Situationen erfordern Sensibilität. Liegt nicht gerade jemand mit blauem Auge in der Ecke, ist es schwierig, festzustellen, wer der Täter und wer das Opfer ist.

Viel hat sich getan, nach der Strafrechtsreform von 1998, erklärt Frau Rotraut Wiedemann von der Polizeidirektion 5, die Beauftragte für häusliche Gewalt und Opferschutz ist, beim Talk im MM. Durch die Strafrechtsreform 1998 wurde Körperverletzung im Strafmaß höher angesetzt als Raub und Einbruch. Damit wird in einem Fall von häuslicher Gewalt heute auf jeden Fall ermittelt, früher bedurfte es erst einer Anzeige. Und anders als noch vor ein paar Jahren muss heute der Täter die Wohnung verlassen, so das Opfer dies will. Früher, erklärte die Beamtin Rotraut Wiedemann,  wurden die Opfer – meist Frauen – gefragt, ob sie zu einer Freundin, ins Frauenhaus oder an einen anderen Ort gebracht werden möchten. Heute dagegen wird derjenige für maximal 2 Wochen der Wohnung verwiesen, der zugeschlagen hat. Bei Zuwiderhandlungen, das heißt, sollte sich der Täter doch dem Opfer oder der Wohnung nähern, wird er dem Richter vorgeführt.

Nach wie vor sind Kinder die größte Opfergruppe, selbst wenn sie nicht direkt betroffen sind, gefolgt von Frauen. Aber auch Männer sind von häuslicher Gewalt betroffen – sowohl in heterosexuellen als auch in homosexuellen Beziehungen. Die Gewalt, die Frauen ihren Männern antun, ist in erster Linie nicht physisch. Doch auch sexuelle Verweigerung, psychischer Druck und permanente Sticheleien werden mittlerweile als gewalttätige Handlungen eingestuft. Für die Opfer ist es unglaublich schwer, sich diesen Gewaltspiralen, die oft jahrelang andauern, zu entziehen.  Deshalb ist die Nachsorge, die Selbsthilfegruppen leisten, von großer Bedeutung. Viele der Opfer leiden, ähnlich wie Geiseln, am Stockholmsyndrom, das heißt, sich befinden sich in einer emotionaler Abhängigkeit zu ihrem Peiniger, und nicht selten sind gerade die Opfer diejenigen, die Mitleid mit den Tätern haben. Sich davon zu befreien, dauert oftmals Monate, manchmal auch Jahre.

Spannend war das Thema „häusliche Gewalt“  auf jeden Fall. Neben zwei Selbsthilfegruppen waren noch Herr Rohde und Frau Rosenauer vom Abschnitt 54 und Frau Wiedemann von der Direktion 5 sowie einige wenige Bewohner zur Diskussion gekommen. Frau Wiedemann betonte zum Abschluss, wie wichtig es sei, in manchen Situationen, die wir alle beobachten, auf die Intuition zu hören. Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig die Polizei rufen, aber – Zivilcourage in allen Ehren – auch niemals den Helden spielen, denn nach wie vor gehören Einsätze bei „Familienstreitigkeiten“ für Polizisten zu den gefährlichen Einsätzen.

 

Stefanie Pfau